Segeln mit Kindern, ein Desaster? (Teil 1)
Jetzt erwartet Ihr doch alle Tipps wie:
1. man braucht ’ne hohe Seereling mit Netz
2. die Etmale dürfen nicht so hoch sein und
3. muss jeder Hafen einen tollen Spielplatz haben.
Und was soll ich Euch sagen: DAS REICHT NICHT!
Wirklich wichtig sind ganz andere Dinge, doch dazu später.
Viele von Euch kennen das, eine oder einer ist die treibende Kraft bei dem Abenteuer „Segeln“. Ohne Kinder arrangiert man sich. Man kann segeln wie man will, schnell und sportlich oder langsam und gemütlich. Irgendwie ist für jeden `was dabei, meistens jedenfalls.
Aber, wenn erstmal Kinder da sind, ist alles anders. Eine/r denkt, wo ist das Problem? Der oder die andere denkt, die ersten Jahre fahren wir besser in ein schnuckeliges Hotel.
Wenn man das nicht vorher ausdiskutiert, gibt es ein Problem.
Unten steht nun, wie es uns ergangen ist. Aber keine Panik, ich kann gleich Entwarnung geben! Im Jahr danach sind wir gemeinsam zur tollsten Segel-Reise unseres bisherigen Lebens aufgebrochen.
Der folgende Bericht ist ein Auszug aus 2,5 Jahren segeln. Niklas ist bei der Abfahrt von Harburg knapp 10 Monate alt. Unser Schiff Nubia aus Stahl, etwa 25 Jahre alt, 9m x 3m groß ist sehr einfach gehalten. Später hat sie uns noch schadenfrei bis in die Karibik gebracht.
1 Jahr bis zum Beginn unserer Atlantik-Reise, Testfahrt nach Stockholm
Gestern haben wir die letzten Lebensmittel gebunkert, und nun sitzen wir im Auto zum Hafen. Die Leinen werden zur letzten, großen Testfahrt vor dem Zwei-Jahres-Atlantiktörn losgeworfen. Unser Sohn wird seinen ersten Geburtstag gewissermaßen auf See verbringen, und uns stehen gute zwei Monate Freiheit und Freizeit bevor, was soll da schon schief gehen.
Nun nach guten vier Meilen, die Kattwykbrücke liegt gerade hinter uns und der Elbtunnel gleich unter uns, poltert es aus Katja heraus:
Segeln ist nicht Ihr „Ding“, Sie weiß eh nicht, wie das gehen soll mit so einem kleinen Wurm, wie Niklas im Schlepp! Was macht der den ganzen Tag auf dem Schiff? Alles wird an Ihr hängen bleiben, das Schiff überfordert Sie, der Gedanke an eine Zweijahresreise erst recht, und über den Atlantik bekommen Sie keine zehn Pferde!
„Na wenn das kein gelungener Einstieg ist!“ denke ich und kann mir gar nicht erklären, was hier gerade passiert. Ich schwanke zwischen umdrehen, anschreien, oder traurig weiterfahren. Die Stimmung ist am Boden und wir müssen an Land, zum Reden. Bis Wedel reißen wir uns zusammen, beschließen hier erstmal einen Tag zu bleiben und uns neu zu sortieren.
Niklas…….. fand’s übrigens super, nein nicht den Streit und den Zwischenstopp, nein das Wackeln und Fahren auf der Elbe.
Das Wetter ist beschissen und taugt nur wenig als Stimmungsheber. Wir laufen bei Nieselregen durch die Gegend und gönnen uns nach vier Stunden Fahrt bereits den ersten Hafentag, wegen Krisenmanagement.
War ein bisschen viel die letzten Monate! Der Kleine hat uns ganz schön gefordert, nebenbei habe ich eine Menge Zeit am Schiff verbracht, und Katja war alleine mit Niklas. Wir hatten die letzten 10/11 Monate eigentlich keine Zeit mehr für uns, und haben gar nicht richtig bemerkt, wie das an uns zehrte. Irgendwie hat sich das bei Katja gestern entladen.
Wie soll es jetzt weitergehen? Wir beschließen, uns mehr Zeit zu nehmen und erstmal weiter zu fahren.
Klar, es gab ein paar schöne Momente, als wir in den Schären ganz alleine vor Heckanker am Fels lagen, oder in Stockholm, wirklich ’ne tolle Stadt, oder die Leute, die wir kennen lernten.
Aber das reichte nicht, wir erinnern uns an andere Situationen, wenn wir an diese Testfahrt nach Schweden denken:
Direkt am Anfang des Test-Törns: Wir sind auf dem NOK oder neudeutsch Kielkanal unterwegs. Die restliche Familie schläft noch und erfreut sich nach dem Aufstehen hoffentlich am heißen Ofen und heißen Kaffee. Nach 10 Stunden entlässt uns die Kieler alte Schleuse in die Ostsee. Solche Kanaldurchfahrten haben etwas meditatives, es passiert nichts, man muss sich nur um den Abstand zum Ufer kümmern und ansonsten Geduld haben. Geduld hatte ich, als es furchtbar ruckte und polterte, aber genügend Abstand zum Ufer leider nicht! Wenn man denkt alles ist easy, dann passiert es, Gott sei Dank nicht so schlimm, aber nächsten Winter müssen mit Sicherheit ein paar Schrammen im Kiel verarztet werden, so’n Mist!
Viel schlimmer aber dies hier:
Katja spuckt sich die Seele aus dem Leib auf dem Weg von Getzer nach Bornholm. Man das gibt’s doch nicht, letztes Jahr war sie nicht ein einziges Mal seekrank. Alles ist gegen uns. Niklas sitzt wegen des Wetters, wenn überhaupt, nur im Schneeanzug an Deck.
Vor Bornholm dann fast der Supergau:
Etwa 15 Meilen noch, wir fahren in eins der größten Verkehrstrennungsgebiete der Ostsee ein. Hier kommen Schifffahrtswege aus drei Richtungen zusammen, dementsprechend ist die Verkehrsdichte. Selbstverständlich wollen wir hier die Zeit kurz halten und kreuzen vorschriftsmäßig im 90°-Winkel. Kurz nach der Hälfte, wir haben noch eine gute Stunde bis wir das Gebiet wieder verlassen werden, dann der worst case: Nebel!! Von hier auf gleich, die Sicht schrumpft auf 50-100m. Was sollen wir machen, kein Radar was uns helfen könnte, kein AIS. Wir ziehen unsere Schwimmwesten an, Niklas muss unter Deck in seinen Sitz. Regelmäßig ertönen um uns herum Nebelhörner, wir sehen die dazugehörigen Schiffe nicht, kommen uns vor, wie mit einem lahmen Trecker auf der Autobahn im dichten Nebel,…….gejagt von unsichtbaren, hupenden Sattelschleppern!
Katja kneift die Augen zusammen, das eine ohnehin zugeschwollen, wegen irgendeines Fremdkörpers und beobachtet die Backbordseite. Ich mache das Gleiche an Steuerbord. Der Motor ist klar zum Starten, und wir bereit zum Manöver des letzten Augenblicks. Wir segeln, um die anderen früher hören zu können. Immer wieder spürt man die Frachter, hört deren Schraubengeräusche, aber man sieht sie nicht. Eine gespenstige Stimmung, wir sprechen kaum und sind wahnsinnig angespannt.
Aus Verzweiflung drücken wir immer wieder auf den Auslöser unserer Presslufttröte. Vermutlich denkt jeder: „Ich fress’n Besen wenn die jemand hört“, aber mehr können wir nicht tun. Was wir jetzt brauchen ist Glück, sonst nichts.
Nach rund 40min wird der Verkehr, werden die nervenden Nebelhörner weniger, und dann sind wir raus aus dem „Autobahnkreuz“. Große Erleichterung. Jetzt müssen wir nur noch die Hafeneinfahrt finden. Ich definiere einen virtuellen Punkt etwa 2 Meilen vor der Hafeneinfahrt in unser GPS. Gerne würde ich jetzt die „Dienste“ eines modernen Kartenplotters in Anspruch nehmen. Von diesem Punkt aus fahren wir im rechten Winkel auf die imaginäre Küstenlinie, und die Hafeneinfahrt von Hammerhavn zu. Die Segel sind bereits geborgen, als bei Schleichfahrt etwa 200 Meter vor Hammerhavn die felsige Küste im grauen Einerlei des Nebels auftaucht.
Oder wie war das mit unserer Schiffsschraube:
Wir motoren durch den Drageskanal, die engste Stelle der ganzen Reise. Kurz danach müssen wir vor einer Klappbrücke auf deren Öffnung warten. Die Gegend hat eher Flusscharakter, es gibt eine nicht unerhebliche Strömung. Entfernung zum Ufer: rund 100m! Wir stehen vor der Brücke, halten die Nubia mal mit Schub vorwärts, dann wieder mit Schub rückwärts, mehr oder minder auf der Stelle. Wieder lege ich den Rückwärtsgang kurz ein….“KLONG“, „was war das“?, fragt Katja. „Och nix“, meine nicht gerade vertrauensvoll klingende Antwort! Ich gebe wieder Schub vorwärts, der Motor heult auf, aber von Schub leider keine Spur. Scheiße!! Entweder wir haben keine Schraube mehr, schießt es mir durch den Kopf, oder das Getriebe hat sich zerlegt, oder zwischen Welle und Getriebe gibt es keine Verbindung mehr. Wir treiben auf das Ufer zu! Verdammt!! Der Anker, der Anker muss rein.“ Wir verstehen uns blind und liegen 30, vielleicht 45 Sekunden später vor Anker. Wie wir die 5Tonnen schwere, propellerlose Nubia am nächsten Tag mit unserem Dinghi mit 2,3PS Motor bis zur nächsten Werft bugsieren, das ist eine andere Geschichte.
Oder wie Katja mich anruft, als ich gerade die Stockholmer Läden nach Petroleum absuche:
„Kannst Du schnell herkommen, ich bin gestürzt und hab’ ’ne große Platzwunde.“
Ich renn so schnell ich kann zur Marina zurück, Katja liegt auf dem Steg, Niklas auf ihrem Arm. Die Crew vom Nachbarschiff hilft schon und verarztet Katja’s Bein notdürftig. Eine Art Gullydeckel hat den Weg in die Dunkelheit unter sich freigegeben, als Katja darauf trat. Niklas ist Gott sei Dank nichts passiert. Minuten später sitzt sie im Krankenwagen, die Wunde wird genäht.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass wir gleich am Anfang auch mit Niklas im Krankenhaus waren, er hatte Fieber, was nicht besser werden wollte.
So lief es also mit unserer Testfahrt, Prop verloren, Wetter beschissen, Katjas Bein genäht, Nebel im VTG, Katja ständig seekrank. Aber das wirklich schlimmste war, dass nun Niklas auch noch anfing zu brechen .
Wie sollte ich den Beiden nun noch eine Segelreise schmackhaft machen, meine Felle sind endgültig weggeschwommen.
Oder, hat nicht mal jemand gesagt, dass die Generalprobe gründlich in die Hose gehen muss, damit die Premiere ein grandioser Erfolg wird?
Nur glaubte an diesen Premierenerfolg, nach der desaströsen Schwedenreise momentan keiner mehr.
So, nun laßt Euch nicht entmutigen! Wir haben viel gelernt, vieles neu überdacht, geändert und optimiert. Mittlerweile sind wir Feuer und Flamme für’s Familiensegeln.
Wir zeigen Euch wie es weiter ging. Natürlich auch, wie schön und speziell das Familiensegeln mit unseren Folkebooten ist. Demnächst hier!
6 Kommentare
Zwei Bilder sind zu sehen, auf denen ein Kind in Wassernähe ohne Schwimmweste unterwegs ist. Meine Kinder waren an Land in Wassernähe (Seegrundstück / Steg) und selbstverständlich auf dem Schiff IMMER in einer Schwimmweste gesichert! Das ist essentiell, finde ich.
Moin Burkhard,
Du hast vollkommen Recht.
Allerdings sind wir mit unserem Sohn in seinen ersten drei Lebensjahren schon über 10000 Meilen bei fast jedem Wetter gesegelt, teilweise fast eine Woche am Stück auf hoher See. 14 Monate haben wir ausschließlich auf unserem Schiff gelebt. In dieser Zeit haben wir ein gutes Gefühl für alle kritischen Situationen entwickelt und wir sind und waren immer sicher, dass er perefekt geschützt ist. Wenn er also irgendwo alleine ohne Schwimmweste zu sehen ist, liegt das immer daran, dass die Personen in seiner unmittelbaren Nähe nicht auf dem Bild zu sehen sind. Aber trotzdem ist die Herangehensweise bei verschiedenen Eltern sicher unterschiedlich.
Absolut👍Ist mir eben auch ins Auge gestochen..Unserer bleibt am Steganfang stehen und geht kein Schritt weiter ohne Weste😁Das mit dem in der Nähe sein ist so eine Sache; unser Kleiner fiel vom Steg ( mit Weste 😉) , Mama 1 Meter entfernt, zu Papa aufm Vorschiff was gesagt, Kleiner weg… ging keine Sekunde, beide nichts gesehen und vorallem NICHTS gehört😱….
….das tut mir leid mit Eurem Sohn, hoffentlich ist nichts passiert
Hallo Mike,
leider bin ich jetzt erst zum Lesen deines ersten Berichtes gekommen. Auch wenn das Thema derzeit für mich nicht relevant ist, da meine Jungs ja schon erwachsen sind, so könnte jedoch in naher Zukunft die nächste Generation im Anmarsch sein und bei „Opa“ mit segeln wollen. You never know!
Ich finde deinen kleinen Reisebericht super. Völlig unabhängig davon, dass ich deine Erzählweise echt klasse finde, beschönigt der Bericht doch nichts und zeigt die Gefahren plakativ auf. Ich meine, jetzt wo der Drops gelutscht ist, kann man ja herzhaft über die Aneinanderreihung von Katastrophen lachen, tatsächlich möchte ich jedoch keines der Ereignisse selber erleben.
Bin gespannt, wie du deiner Fangemeinde in den folgenden Abschnitten das Segeln mit Kindern schmackhaft machst.
Moin Holger,
danke für die netten Worte. Ja dann bin ich mal gespannt, ob Du Dich in Teil 2 und 3 der keinen Serie wiederfindest.
Liebe Grüße Mike